Rezeption des Vanitas-Gedankens in: JOHNNY CASH – HURT

Johnny Cash, gestorben am 12. September 2003 im Alter von 71 Jahren, war ein amerikanischer Künstler aus dem Genre „Country & Western“ (C&W), der diesen Musikbereich am meisten geprägt hat. Dies gilt besonders ab dem Jahr 1993, als er sich mit dem amerikanischen Produzenten Rick Rubin zusammenschloss, um die Aufnahmen der sogenannten „American Recordings“ zu beginnen. Es wurden vier Alben zu Cashs Lebzeiten veröffentlicht (weitere zwei nach seinem Tod), wobei der im Jahr 2002 erschienene vierte Longplayer am bekanntesten sein dürfte, unter anderem aufgrund des Songs „Hurt“. Den Song „Hurt“, original von der Industrial-Rock Band ‚Nine Inch Nails‘ (NIN), hat Rick Rubin Johnny Cash vorgeschlagen, um daraus eine Coverversion zu machen. Den Song „Hurt“ lobte Cash als „[…] best antidrug song [he] ever heard“, hielt ihn aber nicht geeignet für sich. Dennoch ließ er sich von Rick Rubin überzeugen und nahm den Song auf (vgl. Just, Steffen: „Nine Inch Nails‘ ‚Hurt‘: Ein Johnny-Cash-Original“ – Eine Musik- und diskursanalytische Rekonstruktion musikalischer Bedeutungen, in: Black Box Pop. Analysen populärer Musik, Bielefeld 2012, S. 171-190, S. 171 f.). Textlich fügt sich der Song „Hurt“ wunderbar in die Reihe von Texten ein, die Johnny Cash selbst schrieb. Themen Cashs waren unter anderem das Leben und Leiden armer Leute und das Aufzeigen menschlichen Scheiterns. In der Phase der „American Recordings“ schrieb er vermehrt über Gott, Glaube und den Tod.
Wenn man den Text von „Hurt“ in den Kontext stellt, dass Cash nach eigenen Aussagen seinen bevorstehenden Tod gespürt hat und somit wusste, dass er bald sterben würde, dann beschreibt der Text die Vergänglichkeit seines Lebens, so als wollte er mit diesem Song Abschied nehmen.

„Hurt“
I hurt myself today, to see if I still feel
I focus on the pain, the only thing that´s real.
The needle tears a hole, the old familiar sting.
Try to kill it all away, but I remember everything.
What have I become my sweetest friend?
Everyone I know goes away in the end.
And you could have it all. My empire of dirt.
I will let you down. I will make you hurt.
I wear this crown of thorns upon my liar´s chair.
Full of broken thoughts I cannot repair.
Beneath the stains of time the feelings disappear.
You are someone else. I am still right here.
What have I become my sweetest friend?
Everyone I know goes away in the end.
And you could have it all. My empire of dirt.
I will let you down. I will make you hurt.
If I could start again, a million miles away,
I would keep myself. I would find a way („Hurt“ von Johnny Cash 2002)

Die Verszeile „What have I become“ in Verbindung mit der Zeile „My empire of dirt“ erinnert an Cashs langes, ruhmreiches Leben, auf das er zurückblickt mit dem Wissen, dass sein Leben mit all seinem Reichtum und seinen irdischen Gütern am Ende so oder so nichtig sein wird. Aber auch andere Begrifflichkeiten des Lebens wie Schmerz und Qual („hurt“, „pain“) sind nunmal vergänglich, wie in der Zeile „Beneath the stains of time the feelings disappear“ verdeutlicht wird. Die Tatsache, dass alles Irdische einschließlich des Menschen vergeht beziehungsweise in absehbarer Zeit nicht mehr da ist, schlägt sich besonders im Satz „Everyone I know goes away in the end“ nieder. Zu diesen bildlichen Symbolen der Vanitas zählen auch Fehltritte wie Lüge oder Enttäuschung, wogegen sich der Mensch schwer wehren kann („I will make you hurt“, „I will let you down“, „my liar’s chair“).
Diese Songzeilen über die Erkenntnis von Tod, Sünde, Eitelkeit und Nichtigkeit kurz vor dem Lebensende Cashs, wird im Musikvideo zum Song „Hurt“ veranschaulicht. Es ist auch die berühmte Schlussszene, in der Johnny Cash das Klavier zuklappt, mit seinen Händen über den geschlossenen Deckel streift und schließlich seine Hände darauf legt, als wäre es ein abgeschlossenes Kapitel, ein abgeschlossenes Leben. Aber besonders erkennt man in der Szene davor, als Cash an einem fein gedeckten Tisch auf einer Art Thron sitzt und mit zittriger Hand Wein aus seinem prunkvollen Kelch über „[his] empire of dirt“ schüttet. Er schüttet den kostbaren Wein über sein „Reich voller Dreck“, über sein Leben, in dem Ruhm am Ende symbolisch gesprochen nur „Dreck“, sprich Nichtigkeit bedeutet. Somit hat all sein Streben nach Glück, nach Ruhm, nach einem guten Leben keinen Wert. Johnny Cash war alt, schwerkrank, kurz vor seinem Lebensende und hat dem Song „Hurt“ mit seiner gebrechlichen, Vibrato-lastigen, „alten“ Stimme eine andere Bedeutung gegeben (vgl. Just 2012, S. 179 ff.). Der Song mit der vergänglichen Note, zu der Johnny Cash beitrug, und auch das Video dazu, sind ein Vorzeigebeispiel einer Rezeption des Vanitas-Gedankens in der Popularmusik, speziell im 21. Jahrhundert. BEN BLADDI SOMMER

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